Hilfsmittel sichern Teilhabe, Selbstständigkeit und Therapie – von der Brille über Inhalationsgeräte bis zu Rollstühlen oder Antidekubitus-Matratzen. Zuständig ist in der Regel die gesetzliche Krankenkasse (GKV) nach dem Grundsatz: „Rehabilitation vor Pflege“ und „ambulant vor stationär“. Daneben gibt es Pflegehilfsmittel der Pflegekasse, etwa Pflegebetten, Lagerungshilfen oder zum Verbrauch bestimmte Produkte. Für Versicherte ist entscheidend, richtig zuzuordnen, sorgfältig zu beantragen und Fristen sowie Zuzahlungsregeln zu kennen.
Dieser Leitfaden erläutert, was als Hilfsmittel der GKV gilt und wie es sich von Pflegehilfsmitteln unterscheidet, wie Sie Anträge schlüssig stellen (Verordnung, Begründung, Kostenvoranschlag), welche Zuzahlungen, Leihgaben und Eigenanteile üblich sind und was bei Ablehnung zu tun ist – inklusive Widerspruch und Eilverfahren. Außerdem lesen Sie, worauf es bei Anpassung, Einweisung, Reparatur und Dokumentation in der Praxis ankommt, damit die Versorgung dauerhaft sicher bleibt.
Was gilt als Hilfsmittel der GKV?
Hilfsmittel der GKV gleichen Behinderungen aus, verhüten eine drohende Behinderung oder sichern den Erfolg einer Krankenbehandlung. Sie werden ärztlich verordnet und von Vertragspartnern der Kassen geliefert, angepasst und – je nach Produkt – gewartet oder ersetzt. Abzugrenzen sind Pflegehilfsmittel, die vor allem die Erleichterung der Pflege im häuslichen Umfeld sichern.
Definition und Zweck der Hilfsmittel
Hilfsmittel sollen Funktionseinschränkungen ausgleichen (z. B. Seh-/Hörhilfen, Prothesen, Orthesen), Mobilität sichern (Rollstühle, Gehhilfen), Atemwege/Herz-Kreislauf unterstützen (CPAP, Inhalatoren), Kontinenz ermöglichen (Katheter-/Stoma-Systeme) oder Therapien ermöglichen/sichern (Kompressionsversorgung, Insulinpumpen). Maßgeblich ist die medizinische Notwendigkeit und ein individuell passender Nutzen im Alltag.
Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V
Das Hilfsmittelverzeichnis systematisiert Produkte und Qualitätsanforderungen. Es ist keine abschließende Positivliste, aber wichtiger Orientierungsrahmen für Verordnung, Auswahl und Prüfung. Ärztliche Begründung und individuelle Eignung bleiben ausschlaggebend. Vertragspartner der Kassen müssen die Qualitätskriterien erfüllen, etwa hinsichtlich Anpassung, Einweisung, Hygiene und Service.
Abgrenzung zu Pflegehilfsmitteln (§ 40 SGB XI)
Pflegehilfsmittel dienen vor allem der Erleichterung der Pflege, der Linderung von Beschwerden oder der Ermöglichung selbstständiger Lebensführung bei Pflegebedürftigkeit. Beispiele: Pflegebetten, Lagerungshilfen, Badehilfen, Hausnotruf sowie zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel (z. B. Einmalhandschuhe, Bettschutzeinlagen). Zuständig ist hier die Pflegekasse. Die gleiche Sache kann nicht doppelt finanziert werden; deshalb ist die korrekte Zuordnung zentral.
Antrag stellen: Schritt für Schritt
Ein erfolgreicher Hilfsmittelantrag verbindet medizinische Begründung, individuelle Zielbeschreibung und formale Vollständigkeit. So minimieren Sie Rückfragen, sparen Zeit und erhöhen die Chance auf schnelle Genehmigung.
Ärztliche Verordnung und medizinische Begründung
Bitten Sie Ihre Ärztin/Ihren Arzt um eine präzise Verordnung inklusive Diagnose, Funktionsdefizit, Therapieziel und Begründung, warum genau dieses Hilfsmittel erforderlich ist (z. B. „sicheres Gehen in Wohnung und Außenbereich, Sturzrisiko ↓“). Bei austauschbaren Produkten (z. B. Standard-Rollstuhl vs. Leichtgewicht-Rollstuhl) gehört die Begründung der Spezifik dazu: Gewicht, Restkraft, Transferfähigkeit, Wohnumfeld (Türen, Treppen), Außenwege. Bei Versorgungen mit hohem Risiko oder Komplexität (z. B. Atemtherapie, Insulinpumpe) helfen therapeutische Pläne und Schulungsnachweise.
Kostenvoranschlag und Vertragspartner
Lassen Sie einen Kostenvoranschlag von einem Vertragspartner der Krankenkasse erstellen. Vertragspartner kennen Pauschalen, Serviceumfänge (Anpassung, Wartung, Reparatur) und Dokumentationspflichten. Notieren Sie Artikelnummern (ggf. aus dem Hilfsmittelverzeichnis), Größen, Zubehör. Prüfen Sie, ob Leihgabe oder Eigentumsüberlassung vorgesehen ist. Bei Mehrbedarf (z. B. Zweitversorgung für Schule/Arbeitsplatz) begründen Sie den zusätzlichen Nutzen.
Fristen, Genehmigung und Genehmigungsfiktion
Krankenkassen müssen zügig entscheiden. Gilt eine Regelfrist (in der Praxis meist 3 Wochen), verlängert bei medizinischer Begutachtung (z. B. durch den Medizinischen Dienst) auf 5 Wochen. Erfolgt keine fristgerechte Entscheidung und wurde die Begutachtung nicht rechtzeitig mitgeteilt, kann eine Genehmigungsfiktion greifen. Dokumentieren Sie Antragseingang, Rückfragen und Fristen schriftlich; erinnern Sie sachlich, wenn Termine erkennbar überschritten werden.
Zuzahlungen, Leihgaben und Eigenanteile
Zuzahlungen sind gesetzlich geregelt, dürfen aber nicht mit wirtschaftlicher Aufzahlung verwechselt werden. Zudem unterscheiden sich Leihgabe und Eigentum – mit Folgen für Reparaturen, Wartung und Austausch.
Zuzahlungsregeln nach SGB V (Belastungsgrenze beachten)
Versicherte ab 18 Jahren leisten grundsätzlich Zuzahlung: 10 % des Abgabepreises, mindestens 5 €, höchstens 10 € je Hilfsmittelversorgung – nicht mehr als die tatsächlichen Kosten. Kinder und Jugendliche unter 18 sind in der Regel befreit. Alle Zuzahlungen zählen auf die Belastungsgrenze an (in der Regel 2 % der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt; 1 % bei chronisch Kranken). Bewahren Sie Quittungen auf.
Leihweise Überlassung vs. Eigentum
Viele Hilfsmittel (z. B. Pflegebetten, Standard-Rollstühle, Antidekubitus-Matratzen) werden leihweise überlassen. Dann bleiben Reparatur, Wartung und Austausch Sache des Leistungserbringers bzw. der Kasse – außer bei unsachgemäßer Nutzung. Bei Eigentumsüberlassung (z. B. individuell angepasste Orthesen, Prothesen, Brillen) liegen Pflege und Verlustrisiko bei der versicherten Person; Reparaturen und Ersatz folgen den vertraglichen Regelungen und medizinischen Notwendigkeiten.
Wirtschaftliche Aufzahlung vermeiden
Neben der gesetzlichen Zuzahlung verlangen manche Anbieter Aufzahlungen für Komfortmerkmale oder Markenwünsche. Diese wirtschaftlichen Aufzahlungen sind freiwillig und nicht erstattungsfähig. Fragen Sie gezielt nach einer vertraglich abgedeckten, aufzahlungsfreien Versorgung, die medizinisch geeignet ist. Lassen Sie sich Alternativen erläutern und die Mehrwerte schriftlich begründen, bevor Sie Aufpreise akzeptieren.
Versorgung in der Praxis
Eine gute Hilfsmittelversorgung endet nicht mit der Genehmigung. Entscheidend sind Anpassung, Einweisung, Schulung, Reparaturmanagement und Dokumentation – nur so bleibt der Nutzen dauerhaft erhalten.
Anpassung, Einweisung und Gebrauchsschulung
Verlangen Sie eine passgenaue Anpassung (Sitzbreite/Tiefe, Rückenwinkel, Fußstützenhöhe; Druckentlastung; Griffe), eine Einweisung in Handhabung, Pflege und Sicherheit sowie – wo relevant – eine Gebrauchsschulung (z. B. Insulinpumpe, Atemtherapiegeräte). Halten Sie Ziele fest (z. B. Gehstrecke, Transfers, Dekubitusprophylaxe) und vereinbaren Sie eine Kontrolle nach einigen Wochen zur Feinjustierung.
Reparaturen, Wartung und Austausch
Klärung vorab spart Ärger: Wer organisiert Reparaturen, wie schnell erfolgt Ersatz bei Ausfall, welche Leihgeräte stehen bereit? Bei leihweiser Überlassung liegt die Pflicht in der Regel beim Leistungserbringer. Melden Sie Defekte sofort, dokumentieren Sie Störungen (Datum, Uhrzeit, Fehlerbild, Folgen). Bei Versorgungsausfällen mit Gefährdung (z. B. Atemgerät) ist Eilhilfe zu fordern.
Qualitätssicherung und Dokumentation
Dokumentieren Sie Liefernachweise, Einstellwerte, Serviceberichte und Trainingsnachweise. Für komplexe Versorgungen (z. B. Wechseldrucksysteme, CPAP) bewährt sich ein kurzer Gerätepass mit Ansprechpartnern und Notfallhinweisen. So können auch Vertretungspersonen (Angehörige, Pflegedienst) sicher reagieren.
Ablehnung oder Kürzung – Ihre Optionen
Kommt ein Ablehnungs- oder Kürzungsbescheid, bleiben Sie sachlich und strukturiert. Häufig lassen sich Entscheidungen mit ergänzten Begründungen oder alternativen Vorschlägen drehen.
Begründung prüfen und medizinisch ergänzen
Lesen Sie die Begründung: Fehlt die medizinische Notwendigkeit? Gilt das Produkt als nicht erforderlich oder nicht wirtschaftlich? Reichen Sie zielgerichtete Unterlagen nach: aktuelle Befunde, Therapiepläne, Fotos/Skizzen zum Wohnumfeld, Sturz-/Belastungsprotokolle, Erprobungsberichte (z. B. Testfahrt mit Rollstuhl). Zeigen Sie, dass ohne das Hilfsmittel Therapieziele verfehlt oder Teilhabeeinschränkungen nicht behoben werden.
Widerspruch strukturiert formulieren
Frist: in der Regel ein Monat nach Zugang. Aufbau: Bescheiddaten, Sachverhaltsdarstellung, medizinisch-funktionelle Begründung, konkreter Antrag (Genehmigung der beantragten Versorgung; hilfsweise gleichwertige, aufzahlungsfreie Alternative). Beziehen Sie sich auf Ziele (Mobilität, Selbstständigkeit, Dekubitus-/Sturzprophylaxe) und konkrete Alltagssituationen. Fügen Sie Kostenvoranschlag eines Vertragspartners bei.
Eilverfahren bei Dringlichkeit
Besteht akute Gefährdung (z. B. drohende Wundverschlechterung, Ateminsuffizienz, Sturzserie), prüfen Sie Eilrechtsschutz beim Sozialgericht. Parallel sollten Ärztinnen/Ärzte die Dringlichkeit schriftlich begründen (z. B. „unverzügliche Versorgung erforderlich, sonst…“). Halten Sie Telefonate mit Kasse/Leistungserbringer stichpunktartig fest.
FAQ – Hilfsmittel & Krankenkasse
Was ist der Unterschied zwischen Hilfsmitteln (GKV) und Pflegehilfsmitteln (Pflegekasse)?
Hilfsmittel gleichen Funktionsdefizite aus oder sichern Therapien (GKV). Pflegehilfsmittel erleichtern Pflege und lindern Beschwerden im Pflegekontext (Pflegekasse).
Brauche ich immer eine ärztliche Verordnung?
Ja, in der Regel ja. Ohne Verordnung ist eine Genehmigung selten möglich; Ausnahmen betreffen wenige standardisierte Versorgungen mit Pauschalregelungen.
Reicht ein Kassenrezept ohne Begründung?
Meist nein. Eine präzise Begründung mit Ziel (z. B. Sturzprophylaxe), Funktionsdefizit und Produktspezifik erhöht die Genehmigungschancen.
Muss der Anbieter Vertragspartner der Kasse sein?
In der Regel ja. Vertragspartner liefern aufzahlungsfreie Versorgungen nach Kassenstandard und übernehmen Servicepflichten.
Wie hoch ist die Zuzahlung?
10 %, mindestens 5 €, höchstens 10 € je Versorgung (nicht mehr als die tatsächlichen Kosten). Kinder/Jugendliche sind meist befreit.
Was ist eine wirtschaftliche Aufzahlung?
Ein freiwilliger Mehrpreis für Komfort/Marke außerhalb des Kassenstandards. Er wird nicht erstattet und ist von der gesetzlichen Zuzahlung zu unterscheiden.
Leihgabe oder Eigentum – was ist besser?
Kommt auf das Produkt an. Leihgabe: Service, Wartung, Austausch liegen beim Anbieter. Eigentum: sinnvoll bei individuell angepassten Produkten.
Wie lange darf die Kasse prüfen?
Üblich sind 3 Wochen, mit medizinischer Begutachtung 5 Wochen. Ohne fristgerechte Entscheidung kann eine Genehmigungsfiktion greifen.
Was tun bei Ablehnung?
Begründung analysieren, medizinisch ergänzen, Widerspruch fristgerecht einlegen, ggf. Alternativvorschlag (aufzahlungsfrei) machen.
Gibt es Eilversorgung?
Bei Gefährdung (z. B. Atem-/Wundrisiko) ist Eilrechtsschutz möglich. Ärztliche Dringlichkeitsbescheinigung beilegen, Telefonate dokumentieren.
Darf ich mir ein anderes, teureres Produkt aussuchen?
Ja, aber Aufzahlungen sind dann privat zu tragen. Prüfen Sie vorher, ob eine gleichwertige, aufzahlungsfreie Lösung existiert.
Wer kümmert sich um Reparaturen?
Bei Leihgaben in der Regel der Leistungserbringer. Defekte sofort melden; Notfall-/Ersatzgeräte klären. Bei Eigentum gilt die vertragliche Regelung.
Können zwei gleiche Hilfsmittel gleichzeitig genehmigt werden?
Nur bei begründetem Mehrbedarf (z. B. Schule/Arbeitsplatz). Nutzen und Organisation klar darlegen.
Zählen Hilfsmittel zur Pflegegradeinstufung?
Hilfsmittel belegen oft den Bedarf, die Einstufung richtet sich aber nach Selbstständigkeit in den NBA-Modulen, nicht nach Gerätezahl.
Fazit
Erfolgreiche Hilfsmittelversorgung bedeutet: richtig zuordnen, zielgerichtet beantragen und Versorgungsqualität sichern. Achten Sie auf eine präzise Verordnung mit klarer Begründung, nutzen Sie Vertragspartner der Kasse und reichen Sie vollständige Unterlagen samt Kostenvoranschlag ein. Behalten Sie Fristen im Blick – inklusive der Möglichkeit einer Genehmigungsfiktion – und unterscheiden Sie sauber zwischen gesetzlicher Zuzahlung und wirtschaftlicher Aufzahlung. Nach der Genehmigung sorgen Anpassung, Einweisung, Schulung, Reparaturmanagement und Dokumentation dafür, dass das Hilfsmittel im Alltag sicher wirkt. Bei Ablehnung oder Kürzung gehen Sie strukturiert vor: Begründung nachschärfen, Widerspruch einlegen, bei Dringlichkeit Eilverfahren prüfen. So erhalten Sie eine bedarfsgerechte, aufzahlungsfreie Versorgung – und sichern langfristig Selbstständigkeit und Teilhabe.


