Die gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) und die soziale Pflegeversicherung (SGB XI) regeln, welche Leistungen Sie im Krankheits- und Pflegefall beanspruchen können – von häuslicher Krankenpflege und Hilfsmitteln bis hin zu Pflegegraden, Entlastungsleistungen und Beratungsansprüchen. Dieser Leitfaden ordnet die wichtigsten Rechte verständlich ein, zeigt typische Stolperfallen und gibt praktische Hinweise für die Antragstellung und den Umgang mit Kassen und Gutachter:innen.
Ziel ist es, dass Sie Leistungen frühzeitig, vollständig und rechtssicher nutzen – und wissen, wann Widerspruch sinnvoll ist. Wo Gesetze komplex sind, erklären wir sie in Alltagssprache. Bei individuellen Fragen ist eine Pflegeberatung nach § 7a SGB XI besonders hilfreich.
SGB V vs. SGB XI: Worin liegt der Unterschied?
Die Systeme verfolgen unterschiedliche Zwecke: Das SGB V (Krankenversicherung) sichert die akute Behandlung und medizinische Versorgung – z. B. Arzt- und Krankenhausleistungen, häusliche Krankenpflege, Heil- und Hilfsmittel. Das SGB XI (Pflegeversicherung) unterstützt längerfristige Einschränkungen der Selbstständigkeit – z. B. Pflegegrade, Pflegegeld/Pflegesachleistungen, Entlastungsbetrag, Wohnraumanpassung.
Kurz gesagt: SGB V = heilen/stabilisieren, SGB XI = pflegen/kompensieren. In der Praxis greifen beide Systeme ineinander – etwa wenn nach einem Krankenhausaufenthalt medizinische Nachsorge (SGB V) und zugleich Alltagshilfen über die Pflegeversicherung (SGB XI) nötig sind.
Ihre Kernrechte nach SGB V (Krankenversicherung)
Auch im SGB V gilt das Wirtschaftlichkeitsgebot („ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich“). Dennoch bestehen klare Ansprüche. Nachfolgend die wichtigsten – jeweils mit Praxisbezug.
Häusliche Krankenpflege (§ 37 SGB V)
Häusliche Krankenpflege (HKP) umfasst Behandlungspflege (z. B. Injektionen, Wundversorgung), Grundpflege in bestimmten Konstellationen und hauswirtschaftliche Versorgung. Sie wird verordnet, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht möglich ist oder um diese zu verkürzen/zu vermeiden, oder zur Sicherung der ärztlichen Behandlung. Voraussetzung ist, dass keine im Haushalt lebende Person die erforderliche Pflege im notwendigen Umfang übernehmen kann. HKP wird in der Regel zeitlich befristet genehmigt.
Hilfsmittelversorgung (§ 33 SGB V)
Versicherte haben Anspruch auf Hilfsmittel (z. B. Rollator, Hörgerät, Prothese), wenn sie medizinisch erforderlich sind – zur Sicherung des Behandlungserfolgs, zum Behinderungsausgleich oder zur Prävention drohender Behinderungen. Nicht umfasst sind allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Ärztliche Verordnung und Kostenzusage der Kasse sind nötig; häufig bestehen Zuzahlungen oder Festbeträge.
Häusliche Krankenpflege vs. Pflegeleistungen
HKP ersetzt keine pflegeversicherungsrechtlichen Dauerleistungen. Benötigen Sie dauerhafte Hilfe bei Körperpflege/Haushalt aufgrund eingeschränkter Selbstständigkeit, greift meist das SGB XI (Pflegegrad). HKP kann jedoch ergänzend zur Pflegeversicherung laufen (z. B. Wundversorgung durch Pflegedienst neben Pflegegrad-Leistungen).
Weitere relevante Ansprüche nach SGB V (Kurzüberblick)
- Haushaltshilfe (§ 38 SGB V): Wenn Haushaltsführung wegen Krankheit nicht möglich ist und kein anderer den Haushalt führt – besonders wichtig bei Familien mit Kindern.
- Heilmittel (§ 32 SGB V): Physio‑, Ergo‑, Logopädie nach Heilmittel-Richtlinie.
- Reha/Anschlussheilbehandlung (§ 40 SGB V, DRV zuständig je nach Fall): Medizinische Rehabilitation zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit.
- Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V) und Krankengeld (§ 44 SGB V): finanzielle Absicherung bei längerer Arbeitsunfähigkeit.
Ihre Kernrechte nach SGB XI (Pflegeversicherung)
Die Pflegeversicherung unterstützt Menschen mit dauerhaften Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit. Zentrale Bausteine sind Pflegegrade, Geld‑/Sachleistungen und Beratungsangebote.
Pflegegrad: Zugangsschlüssel zu Leistungen
Grundlage ist das Neue Begutachtungsassessment (NBA). In sechs Modulen wird die Selbstständigkeit bewertet; je nach Punktzahl werden Pflegegrad 1–5 anerkannt. Pflegegrad 1 eröffnet bereits unterstützende Sach- und Entlastungsleistungen, ab Pflegegrad 2 kommen Pflegegeld/Pflegesachleistungen hinzu. Wichtig: Die Pflegekasse muss über Anträge innerhalb von 25 Arbeitstagen entscheiden; bei bestimmten Konstellationen (z. B. Krankenhaus) gelten verkürzte Fristen.
Anspruch auf Pflegeberatung (§ 7a SGB XI)
Sie haben Anspruch auf individuelle Pflegeberatung – auch bereits während des Antragsverfahrens, wenn erkennbar Hilfe- oder Beratungsbedarf besteht. Pflegeberater:innen koordinieren Leistungen, helfen bei Anträgen, Begutachtung, Widerspruch und Versorgungsplanung (z. B. Kombination SGB V/XI, Hilfsmittel, Wohnraumanpassung). Das Angebot ist kostenfrei.
Beratungseinsätze bei Pflegegeldbezug (§ 37 Abs. 3 SGB XI)
Beziehen Sie Pflegegeld, sind regelmäßige Beratungseinsätze verpflichtend (je nach Pflegegrad halb- oder vierteljährlich). Sie dienen der Qualitätssicherung, entlasten Angehörige und sichern den Fortbestand des Pflegegeldes. Der Nachweis wird an die Kasse übermittelt.
Wichtige Leistungen im Überblick (Auswahl)
- Entlastungsbetrag (125 € mtl.): Für anerkannte Unterstützungsangebote im Alltag (Haushalt, Betreuung, Alltagsbegleitung). Nicht auszahlbar, sondern zweckgebunden.
- Pflegehilfsmittel zum Verbrauch (bis 40 € mtl.) und technische Hilfsmittel (z. B. Pflegebett, Hausnotruf) – teils mit Eigenanteil.
- Wohnraumanpassung (bis 4.000 € je Maßnahme): Barriereabbau, Sturzprävention.
- Pflegegeld/Pflegesachleistungen (ab PG 2): Je nach Pflegearrangement Auszahlung an Pflegebedürftige (Pflegegeld) oder Abrechnung mit Pflegedienst (Sachleistungen).
- Kurzzeit‑, Verhinderungs‑, Tages‑/Nachtpflege: Entlastung zeitweise oder teilstationär; Kombinationsmöglichkeiten beachten.
Fristen, Verfahrensrechte und Entschädigung
Bei Überschreitung der 25‑Arbeitstage‑Frist muss die Kasse 70 € pro angefangener Woche zahlen, sofern keine Gründe vorliegen (z. B. fehlende Mitwirkung, medizinische Gründe). Nutzen Sie diese Regelung aktiv und rügen Sie Fristverstöße schriftlich.
Antrag stellen – so gehen Sie vor (SGB V & XI)
Ein sauberer Antrag ist halbe Miete. Stellen Sie Anträge schriftlich (kurz und eindeutig), lassen Sie sich den Eingang bestätigen und führen Sie parallel ein Pflegetagebuch. Sammeln Sie ärztliche Unterlagen (Diagnosen, Befunde, Medikamentenplan) und beschreiben Sie realistisch den Unterstützungsbedarf – bitte nichts beschönigen.
Bei Pflegegrad-Anträgen: Termin zur Begutachtung ermöglichen, Angehörige einbinden, Hilfsmittel-/Sturzereignisse dokumentieren, Wohnsituation fotografisch festhalten (z. B. enge Dusche, fehlende Haltegriffe). Nach dem Bescheid: prüfen, ggf. Widerspruch einlegen.
Begutachtung: Was passiert und wie bereiten Sie sich vor?
Vor Ort prüft der Gutachter/die Gutachterin Ihre Selbstständigkeit in Alltagssituationen (Mobilität, Kognition, Verhalten, Selbstversorgung, krankheitsbedingte Anforderungen, Alltagsgestaltung). Zeigen Sie den gewöhnlichen Alltag, nicht den besten Tag. Angehörige sollten anwesend sein und ergänzen, was regelmäßig schwerfällt (z. B. nächtliche Unruhe, Sturzrisiko, Medikamentenmanagement). Halten Sie Hilfsmittelverordnungen und Krankenhausberichte bereit. Nach Erhalt des Gutachtens: Sachverhalte prüfen, ggf. Stellungnahme verfassen.
Widerspruch und Höherstufung: Ihre Durchsetzungsrechte
Widerspruch lohnt sich, wenn das Gutachten Bedarf unterschätzt oder formale Fehler enthält (z. B. falsche Modulbewertung). Frist: 1 Monat nach Zugang des Bescheids. Fügen Sie neue Nachweise bei (aktueller Arztbericht, Pflegetagebuchauszüge, Fotos Wohnumfeld). Bei dauerhafter Verschlechterung können Sie unabhängig davon eine Höherstufung beantragen. Unterstützung bieten Pflegeberater:innen, Sozialverbände (z. B. VdK, SoVD) oder spezialisierte Rechtsberatung.
Vereinbarkeit von Pflege und Beruf: Freistellung & Lohnersatz
Pflegende Angehörige können kurzfristig bis zu 10 Arbeitstage der Arbeit fernbleiben, um Pflege zu organisieren; es besteht Anspruch auf Pflegeunterstützungsgeld als Lohnersatz. Für längere Zeiträume ist Familienpflegezeit (bis zu 24 Monate, Reduktion auf mind. 15 Wochenstunden) möglich. Prüfen Sie zusätzlich Pflegezeit-Modelle Ihres Arbeitgebers.
FAQ – Häufige Fragen
Kann ich häusliche Krankenpflege und Pflegeleistungen gleichzeitig nutzen?
Ja. Häusliche Krankenpflege (SGB V) kann neben Pflegeleistungen (SGB XI) laufen, z. B. Wundversorgung durch den Pflegedienst zusätzlich zum Pflegegeld oder Sachleistungen.
Wer hilft mir durch den Antrags- und Begutachtungsdschungel?
Sie haben Anspruch auf kostenlose Pflegeberatung nach § 7a SGB XI – auch schon im Antragsverfahren. Nutzen Sie dieses Recht frühzeitig.
Was tun, wenn die Pflegekasse nicht fristgerecht entscheidet?
Nach 25 Arbeitstagen (Sonderfristen beachten) können 70 € je angefangener Woche Verspätung fällig werden. Fordern Sie die Zahlung schriftlich ein.
Sind Beratungseinsätze wirklich Pflicht, wenn ich Pflegegeld beziehe?
Ja. Je nach Pflegegrad halb- oder vierteljährlich. Ohne Nachweis drohen Kürzungen oder Ruhen des Pflegegeldes.
Erhalte ich Hilfsmittel von der Pflege‑ oder der Krankenkasse?
Das richtet sich nach Ziel und Zweck: medizinische Hilfsmittel (z. B. Insulinpen, Hörgerät) laufen über das SGB V; Pflegehilfsmittel (z. B. Pflegebett, Einmalhandschuhe) über das SGB XI.
Fazit
Wer seine Rechte nach SGB V und XI kennt, sichert schneller die passende Versorgung – von der Verordnung häuslicher Krankenpflege bis zum Pflegegrad mit Entlastungsleistungen. Wichtig sind gute Dokumentation, klare Anträge, aktive Fristenkontrolle und – wo sinnvoll – der Widerspruch. Eine qualifizierte Pflegeberatung hilft, Leistungen beider Systeme optimal zu kombinieren und Versorgungsbrüche zu vermeiden.
Metatitel: Ihre Rechte nach SGB V und XI – verständlich erklärt
Metadescription: SGB V & XI einfach erklärt: Kranken‑ vs. Pflegeversicherung, Leistungen, Fristen, Pflegeberatung, Widerspruch. So nutzen Sie Ihre Ansprüche rechtssicher.


